Sprache und Zukunft
Tempora mutantur, nos et mutamur in illis: Sprachwandel | Christiane Hohenstein
Thema d Sprachpolitische Positionen in diskursiven Kontroversen: Korrektheit oder Kulturzerfall?
Aufgabe 1 | Wer schränkt was ein? ”Sprachverbot” [10']
Sie haben gesehen, dass es einen kontroversen medialen Diskurs um gendergerechte Sprache gibt. In diesem wird u.a. das Argument angeführt, dass Erlasse oder Reglements zur gendergerechten oder genderneutralen Sprache die freie Rede einschränken würden und dies einem Sprachverbot gleichkäme. Es lohnt sich, die medialen Beiträge zum Diskurs genauer anzusehen, die dahinter stehenden Positionen zu bestimmen und auch einen Vergleich mit den Schweizer Rechtsgrundlagen des Bundes zu ziehen.
Sehen Sie sich die Überschrift der Aargauer Zeitung unter dem folgenden Link an:
https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/sprachstreit-der-bund-stoppt-den-genderstern-buergerinnen-wird-nicht-amtlich-ld.2153738?reduced=true
und vergleichen Sie dies mit der Meldung unter:
https://afdkompakt.de/2021/06/22/bravo-schweiz-verbietet-gender-stern-in-behoerden/
Vergleichen Sie die Aussagen, die in diesen journalistisch-politischen Medien gemacht werden: Welche Informationen zu der Weisung der Schweizerischen Bundeskanzlei werden gegeben?
Welche Argumente werden genannt? Findet eine Wertung statt?
Sehen Sie sich die Weisung zu Genderstern und zur gendergerechten Sprache (BK-D-AF633401/197) auf der folgenden Seite an bzw. laden sie sich herunter:
https://www.bk.admin.ch/bk/de/home/dokumentation/sprachen/hilfsmittel-textredaktion/leitfaden-zum-geschlechtergerechten-formulieren.html
Was wird in den journalistischen Medien zu wenig differenziert oder sogar falsch dargestellt, sodass das Lesepublikum zu dem falschen Eindruck gelangen könnte, dass die schweizerische Bundeskanzlei eine gendergerechte Sprache nicht unterstützt?
In der Überschrift wird das Verbot des Gendersterns und ähnlicher Schreibweisen als zentrales Faktum dargestellt. Dass eine gendergerechte Schreibweise insgesamt davon nicht tangiert ist, d.h. weiterhin gilt und vom Bund vertreten wird (in Gesetzen und Richtlinien), gerät aus dem Blick, weil es nicht genannt wird. Der Genderstern wird m.a.W. nicht in seinen Bedeutungskontext als ein Element unter vielen, die einer gendergerechten, demokratischen Sprache dienen sollen, eingeordnet.
Die Rechtslage in der Schweiz ist durch die Bundesverfassung, das Sprachengesetz und das Gleichstellungsgesetz breit abgestützt. Zusätzlich sind in der Agenda 2030 des EDA die von den Vereinten Nationen verabschiedeten SDGs, die Ziele zur nachhaltigen Entwicklung, ausdrücklich aufgenommen. Ziel Nummer 5 betrifft die Umsetzung der Geschlechtergleichheit.
In der Diskussion um geschlechtergerechte Sprache wird von den Gegner:innen immer wieder ein Verbot des Genderns gerade für Behörden und die öffentlichen Bildungsinstitutionen, die diesen unterstehen, gefordert. Das Schweizer Sprachengesetz legt aber seit 2007 eine Bemühung um geschlechtergerechte Formulierungen für die Bundesbehörden fest. Dies wird ausdrücklich unter dem Artikel 7 zur Verständlichkeit genannt, weil eine Verständlichkeit für alle Bürger:innen nicht gegeben ist, wenn das generische Maskulinum verwendet wird. Die Unzulässigkeit des generischen Maskulinum wird im Leitfaden zur geschlechtergerechten Sprache der Bundeskanzlei von 2008/2013 sowie in der Weisung zum Genderstern von 2022 ausdrücklich genannt. Die Weisung des Bundes zum Nichtverwenden des Gendersterns und ähnlicher Symbole stellt zwar eine Einschränkung dar, beschränkt sich aber auf Bundesdokumente und empfiehlt ausdrücklich, genderneutrale Formen einzusetzen.
Am Beispiel der afd-Seite wird deutlich, dass rechtsgerichtete und antidemokratische Medien in ihrem Aufgreifen der Meldung den restriktiven Umgang mit der Sprache (das Verbot) betonen und befürworten und es nutzen, um demokratische Anliegen zu diskreditieren und zu veralbern sowie um politische Gegner zu verunglimpfen.
Das Schweizer Gleichstellungsgesetz, Art. 3 Diskriminierungsverbot stellt ausdrücklich unter Absatz 3 fest: Angemessene Massnahmen zur Verwirklichung der tatsächlichen Gleichstellung stellen keine Diskriminierung dar.
Am Beispiel der afd-Seite wird deutlich, dass rechtsgerichtete und antidemokratische Medien in ihrem Aufgreifen der Meldung den restriktiven Umgang mit der Sprache (das Verbot) betonen und befürworten und es nutzen, um demokratische Anliegen zu diskreditieren und zu veralbern sowie um politische Gegner zu verunglimpfen.