Die Praxis in Sprachberufen untersuchen
Systhematisch Fragen stellen: Die Befragung
Thema d Herausforderungen der Befragung: Wenn die Antworten ein falsches Bild vermitteln
Aufgabe 1 | Soziale Erwünschtheit: Wenn die Befragten täuschen wollen [10’]
In Befragungen zeichnen Menschen gern ein Bild von sich, das verbreiteten Normen und Erwartungen entspricht. Man spricht dabei vom Effekt der sozialen Erwünschtheit. Um diesem Effekt entgegenzuwirken, bauen Forschende sogenannte Kontroll-Items in ihren Fragebogen ein. Finden Sie das Kontroll-Item in der untenstehenden Frage aus dem Fragebogen der Studie „zenariobasierte Lese- und Schreibförderung an Berufsfachschulen “.
Zur Förderung der Schreibkompetenz im Rahmen des ABU…
(Die Antwortkategorien lauten: nie – selten – manchmal – häufig – immer.
Kreuzen Sie bitte jeweils nur ein Feld an.)
- schaffe ich in meinem Unterricht realitätsnahe Schreibanlässe.
- sorge ich für eine Vorentlastung des Schreibens (z. B. durch Brainstorming, Gruppendiskussion, Clustern etc.).
- fördere ich die Selbstständigkeit meiner Schüler:innen, indem ich beim Schreiben so wenig wie möglich eingreife.
- ermutige ich meine Schüler:innen, das Schreiben zu planen (z. B. durch Arbeitspläne, To-do-Listen, Gliederungen etc.).
- fördere ich die sprachliche Richtigkeit der Schüler*innen durch vollständige, detaillierte Fehlerkorrektur.
- stehe ich meinen Schüler:innen während der Schreibproduktion beratend zur Seite.
- ermutige ich meine Schüler:innen, ihre Texte gegenseitig zu korrigieren (Peer-Feedback).
- gebe ich gezielte Inputs, wenn beim Schreibprozess sprachliche Schwächen auftreten (z. B. Grammatikübungen, Wort- und Strukturenschatz, textsorten-spezifische Formulierungen).
- gebe ich meinen Schüler:innen die Möglichkeit, ihre Texte mehrmals zu überarbeiten.
Aufgabe 2 | Halo-Effekt: Wenn eine Frage auf die nächsten ausstrahlt [20’]
Auch die Reihenfolge der Fragen kann eine Wirkung auf das Antwortverhalten haben. Eine Frage kann die Befragten framen, also bestimmte Haltungen oder Sichtweisen verstärken. Diesen möglichen Einfluss gilt es bei der Erstellung von Fragebogen und Interview-Leitfaden zu berücksichtigen.
Folgendes Szenario: Sie wollen herausfinden, inwiefern die Zufriedenheit von Student*innen mit ihrer aktuellen Lebenssituation mit ihrer finanziellen Situation zusammenhängt.
Welche Reihenfolge von Fragen finden Sie sinnvoller? Begründen Sie Ihre Entscheidung.
Reihenfolge A
- Wie zufrieden sind Sie mit ihrer Lebenssituation?
- Wie schätzen Sie Ihre finanzielle Situation im Vergleich zu Gleichaltrigen ein, die voll berufstätig sind?
- Wie groß ist Ihr monatlich verfügbares Einkommen?
- Inwiefern können Sie sich große Anschaffungen leisten?
Reihenfolge B
- Wie schätzen Sie Ihre finanzielle Situation im Vergleich zu Gleichaltrigen ein, die voll berufstätig sind?
- Wie groß ist Ihr monatlich verfügbares Einkommen?
- Inwiefern können Sie sich große Anschaffungen leisten?
- Wie zufrieden sind Sie mit ihrer Lebenssituation?
Reihenfolge A ist sinnvoller, weil die Fragen zur finanziellen Situation und zum Einkommen einen Einfluss auf die Einschätzung ihrer Zufriedenheit mit ihrer Lebenssituation haben kann.
In der Reihenfolge B wird die Zufriedenheit stark durch die finanzielle Situation geprägt oder eben: geframed.
Aufgabe 3 | Bias Auf die Antwortmöglichkeiten kommt es an [15’]
Auch die vorgegebenen Antworten können die Ergebnisse einer Befragung verzerren.
Was ist aus Ihrer Sicht an den folgenden Antwortkategorien bzw. Ergebnissen problematisch?
Aus einer Umfrage der Zeitung hannoversche Allgemeine:
Gefällt Ihnen das neue HAZ.de?
– Wahnsinn! HAZ.de sieht toll aus.
– Schick! Doch, das gefällt mir?
– Naja, so umwerfend ist der neue Auftritt nicht.
Aus einer ZHAW-internen Umfrage:
Wie nehmen Sie die Abteilung Finanzen und Services wahr?
(Mehrfachantworten möglich)
– Kundenorientiert
– Lösungsorientiert
– Unkompliziert
– Präsent
– Engagiert
– Innovativ
– Professionell
– Nützlich
– Offen
– Antizipierend
– Zuverlässig
– Freundlich
– Pragmatisch
– Eingespielt
– Respektvoll
– Hochschuladäquat
– Dienstleistungsorientiert
Die Antwortkategorien als ganzer Katalog sind einseitig formuliert. Im Beispiel HAZ umfassen sie vor allem, im Beispiel ZHAW nur positive Einschätzungen und Eigenschaften.
Aufgabe 4 | Reflektieren: Wenn die Befragten nicht mehr wissen. [15’]
Eine Herausforderung von Befragungen stellt der Zusammenhang von Verhalten und Verbalisieren dar. Wenn Befragte beschreiben müssen, was sie tun, bringen sie oft nur das subjektive Erleben zur Sprache. Es ist ihnen nicht immer bewusst, was sie tun – sie vergessen es sofort wieder oder rahmen es in der Erinnerung um.
Im Folgenden finden Sie einen Ausschnitt aus dem Fragebogen der Studie „Szenariobasierte Lese- und Schreibförderung an Berufsfachschulen“. Das Forschungsteam stellte beim Antwortverhalten der befragten Lernenden eine gewisse Inkonsistenz fest. Lesen Sie die Fragen und überlegen Sie Gründe für das inkonsistente Antwortverhalten.
Frage 9
Welche Sprache haben Sie in Ihrer Familie zuerst gelernt (Muttersprache)? Denken Sie bitte an die Zeit vor der Schule. Wenn Sie mehrsprachig aufgewachsen sind, können Sie alle Sprachen ankreuzen.
Schweizerdeutsch
Hochdeutsch
Französisch
Italienisch
Rätoromanisch
Portugiesisch
Spanisch
Südslawisch (Bosnisch, Kroatisch, Serbisch, Slowenisch)
Albanisch
Türkisch
Englisch
Andere: _____________
Wenn (Schweizer)Deutsch Ihre Muttersprache ist, dann machen Sie gleich weiter bei Frage 12.
Frage 10
Wie alt waren Sie, als Sie in ein deutschsprachiges Land gekommen sind?
Ich war ______________ Jahre alt.
Frage 11
Wann haben Sie angefangen, Deutsch zu lernen?
– bevor ich 6 Jahre alt war
– etwa mit 6 bis 9 Jahren
– mit 10 Jahren oder später
Frage 12
Welche Sprache sprechen Ihre Eltern oder die Personen, die wie Mutter oder Vater für Sie sind (z. B. Ihre Stiefmutter oder Ihr Pflegevater) überwiegend miteinander, wenn sie zu Hause sind? (Bitte nur ein Kästchen ankreuzen.)
– Schweizerdeutsch
– Hochdeutsch
– Französisch
– Italienisch
– Rätoromanisch
– Portugiesisch
– Spanisch
– Südslawisch (Bosnisch, Kroatisch, Serbisch, Slowenisch)
– Albanisch
– Türkisch
– Englisch
– Andere: _____________
Frage 13
Welche Sprache sprechen Sie selbst überwiegend zu Hause mit Ihren Eltern? (Wenn Sie zwei verschiedene Sprachen mit Ihren Eltern sprechen, können Sie beide Sprachen ankreuzen.)
– Schweizerdeutsch
– Hochdeutsch
– Französisch
– Italienisch
– Rätoromanisch
– Portugiesisch
– Spanisch
– Südslawisch (Bosnisch, Kroatisch, Serbisch, Slowenisch)
– Albanisch
– Türkisch
– Englisch
– Andere: _____________
Frage 14
Welche Sprache sprechen Sie am meisten mit Ihren Freunden? (Bitte nur ein Kästchen ankreuzen.)
– Schweizerdeutsch
– Hochdeutsch
– Französisch
– Italienisch
– Rätoromanisch
– Portugiesisch
– Spanisch
– Südslawisch (Bosnisch, Kroatisch, Serbisch, Slowenisch)
– Albanisch
– Türkisch
– Englisch
– Andere: _____________
Frage 15
In welcher Sprache lesen Sie am häufigsten? (Bitte nur ein Kästchen ankreuzen.)
– Schweizerdeutsch
– Hochdeutsch
– Französisch
– Italienisch
– Rätoromanisch
– Portugiesisch
– Spanisch
– Südslawisch (Bosnisch, Kroatisch, Serbisch, Slowenisch)
– Albanisch
– Türkisch
– Englisch
– Andere: _____________
Frage 16
In welcher Sprache schreiben Sie am häufigsten? (Bitte nur ein Kästchen ankreuzen.)
– Schweizerdeutsch
– Hochdeutsch
– Französisch
– Italienisch
– Rätoromanisch
– Portugiesisch
– Spanisch
– Südslawisch (Bosnisch, Kroatisch, Serbisch, Slowenisch)
– Albanisch
– Türkisch
– Englisch
– Andere: _____________
Mehrsprachigen Schülerinnen und Schülern ist manchmal das eigene Sprachverhalten nicht bewusst. Insbesondere wenn sich die Fragen auf die Vergangenheit beziehen, können sie oft nicht genau sagen, wann und wie sie ihre Sprachen erworben haben. Darüber hinaus haben die Forschenden festgestellt, dass Schüler:innen, die ihre Mehrsprachigkeit als Defizit empfinden – und dies ist manchmal der Fall, wenn sie Sprachen mit einem tieferen Status sprechen – nicht bereit sind, offen über ihren sprachlichen Migrationshintergrund Auskunft zu geben.