Sprache und Mensch
Man kann nicht nicht? – Zugänge zur Kommunikation | Oliver Winkler, Ursula Stadler Gamsa
Thema c Der Beziehungsaspekt in der Kommunikation: Zum Beispiel Facework
Aufgabe 1 | (Un-)Höflichkeitsstrategien: Fall Clinton vs. Trump [10']
Das folgende Video zeigt einen Ausschnitt aus der zweiten Debatte zur Präsidentschaftswahl der Vereinigten Staaten von Amerika aus dem Jahr 2016 zwischen den Amtsanwärtern Hillary Clinton (Demokratische Partei) und Donald J. Trump (Republikanische Partei).
Schauen Sie sich das gesamte Video an (ca. 3 Minuten).
Analysieren Sie das Antwortverhalten beider Kandidaten. Welche verbal-kommunikativen Strategien werden angewandt, um das Gesicht des anderen im Kontext der Publikumsfrage zu wahren oder zu verletzen?
Diskreditierung des politischen Gegenübers ist ein zentrales Ziel in der Politikdebatte. Die Publikumsfrage fordert dabei ein, dieses Ziel der Diskreditierung, der Unhöflichkeit, vorübergehend nicht zu verfolgen.
Thematisch versucht Hillary Clinton bei ihrer Antwort, Trumps Wunsch nach Anerkennung zu schützen, indem sie auf die Qualitäten seiner Kinder referiert. Auf verbaler Ebene nutzt sie gleichsam «Hedging»-Ausdrücke, um den Wahrheitsanspruch ihrer Äußerung zu reduzieren («I think that says a lot about Donald.»). Trotz der eingeforderten Konventionen zur Höflichkeit übt Clinton einen offenen FTA aus («I don’t agree with nearly anything else he says or does»), der Trumps positives Selbstbild verletzt, ihn damit diskreditiert und den er vermutlich als unhöflich wahrnehmen wird.
Trump nutzt wiederum seine ersten Redebeiträge, um dieses positive Selbstbild zu stärken. Trumps Bewertung («I consider this a compliment»), seine eigene Wahrnehmung der kommunikativen Wirkung von Clintons Kompliment zeigt, dass Indirektheit nicht zwangsläufig Höflichkeit bedeutet – eine zentrale Kritik an dem von Brown und Levinson formulierten Theoriegerüst. Im Gegensatz zu Clinton beantwortet Trump die Publikumsfrage mit einer Achtung des positiven Selbstbilds Clintons, ohne diesen in seinem Wahrheitsgehalt verbal abzuschwächen. Ferner übt Trump ebenso wie Clinton einen direkten FTA aus («I disagree with much of what she is fighting for»).
Aufgabe 2 | Beziehungsebene: Mehr als nur das Wort [10']
Schauen Sie das Video aus Übung 1 erneut an. Achten Sie dieses Mal auch verstärkt auf para- und nonverbale Signale. Welche Rückschlüsse auf der Beziehungsebene zwischen Clinton und Trump können Sie anstellen?
Die Beziehung zu seinem Gesprächspartner und die Anwendung von Höflichkeits- bzw. Unhöflichkeitstrategien sind sowohl im Sprachgebrauch als auch auf der nonverbalen bzw. paraverbalen Ebene erkennbar.
Während ihrer Komplimente nutzen beide Kontrahenten weiterhin durchgängig Pronomen der 3. Ps., um ein distanziertes Beziehungsverhältnis zu markieren. Diese Distanz wird auf der nonverbalen Ebene durch eine räumliche Distanz und Abgewandtheit beim Sprechen zusätzlich signalisiert.
Aufgabe 3 | Gestik: Macht auf der Weltbühne [10']
Das folgende Video wird auch in Workshops zu Körpersprache («body language») eingesetzt.
Beschreiben Sie das Vorgefallene in 3 Sätzen.
Warum würde Bundesrätin Viola Amherd wohl anders reagieren als Yassir Arafat, damaliger Chef der Palestine Liberation Organization (PLO), wenn ihr an der Türe der Vortritt gelassen würde?
Wie in Übung 2 bereits illustriert lassen sich Beziehung und Macht nicht nur verbal, sondern auch nonverbal (Körpersprache) zum Ausdruck bringen. Die Deutung von Körpersprache verlangt fast immer Hintergrundwissen, denn nicht jede Geste bedeutet überall das Gleiche.
Für die Bühne der Weltpolitik und für die beiden Machthaber im Video gilt: Wer von jemandem durch die Tür geschoben wird, ist hierarchisch untergeordnet. Präsident Barak gestaltet hier außersprachlich die Beziehung zu seinem politischen Gegenüber. Der augenscheinliche Höflichkeitswettstreit wird durch Arafats spätere Aussagen kontextualisiert, in denen er seine Beziehung zu Barak in den Verhandlungen zugespitzt beschreibt, «Barak treated me like a slave.»
Da es andererseits in der Schweizer Kultur als höflich gilt, einer Frau den Vortritt zu lassen («ladies first»), würde sich Viola Amherd hier voraussichtlich nicht daran stören, wenn ihr der Vortritt angeboten würde. Es stellt sich aber auch die Frage, ob «ladies first» nicht bereits ebenso ein Zeichen von traditioneller Machtstruktur ist.
Aufgabe 4 | Facework: Fall Bambi-Award [10']
Der folgende Filmausschnitt zeigt die Verleihung des Bambi-Awards, eines Preises für Menschen «mit Visionen und Kreativität» an den Rapper Bushido. Die Preisverleihung war damals umstritten, denn Bushidos Texte gelten zum Teil als sexistisch und gewaltverherrlichend.
Schauen Sie sich den Film für 5 Minuten ab Minute 17:15 an (besonderer Fokus auf Minuten 19.20 ff).
Stellen Sie einen FTA (Face Threatening Act) fest?
Wenn ja:
Worin besteht er, wer übt ihn aus und wie reagiert der Angegriffene darauf?
Der Philosoph Richard Precht übt Bushido gegenüber einen Face Threatening Act aus: Er greift aber nicht Bushido als Person direkt an, oder mittelbar über die Qualität seiner Texte an (was zu erwarten wäre), sondern spricht dem Award seine Bedeutung ab, wodurch er Bushido bloßstellt.
Bushido im Gegenzug versucht sein Gesicht zu wahren und die Anerkennung seiner Person (und Leistungen) einzufordern, indem er den Mitpreisträger des Bambis, Altkanzler Helmut Schmidt, aufruft.