Die Praxis in Sprachberufen untersuchen
Mit Bedacht verallgemeinern: Fallstudien auswerten | Prof. Dr. Daniel Perrin
Thema b Datenanalyse: Sprachliche Äußerungen sortieren und gruppieren
Aufgabe 1 | Datenauswertung: Sprechen über das Sprechen [20']
Lesen Sie diesen kurzen Beitrag und schreiben Sie in eigenen Worten auf, wie die Gesprächsanalyse ihre Daten auswertet und wieso sie wichtig ist für die Praxis.
Die linguistische Gesprächsanalyse ist ein mikro-analytisches Verfahren zur Beschreibung sozialer Interaktion. Sie ist primär interessiert an Fragen zur sprachlichen Gestaltung sozialer Interaktion: Was tun die Gesprächsteilnehmenden, wie tun sie es – und welchen (oft unbewussten) Regeln folgen sie dabei vermutlich? Die Datenauswertung stellt dabei scharf auf Gesprächseigenschaften wie Themenentwicklung, Sprecher*innenwechsel, Stimmklang und Sprechpausen.
Relevanz für die Praxis: Gesprächsanalysen zeigen, wie Menschen in Alltag und Beruf mit sprachlichen Mitteln Beziehungen pflegen und Probleme lösen, etwa in Gesundheitspraxen, in Coachings oder auf Helplines.
Aufgabe 2 | Codieren: Induktiv und deduktiv [10']
Das Codieren ist ein wichtiger Bestandteil der Datenanalyse. Notieren Sie Ihre Vermutungen, was die Vorteile sind des induktiven Codierens im Gegensatz zum deduktiven Codieren.
Beim induktiven Codieren leiten die Forschenden ihre Codes aus den Daten ab. Sie beginnen also nicht mit vorgefassten Meinungen darüber, was die Codes sein sollten, sondern lassen die Codes aus den Daten selbst entstehen.
Ein Beispiel: Spricht eine beforschte Person in den Daten den Satz Unter E-Mails im Betrieb setze ich keine Grußformel mehr, können die Forschenden daraus einen Daten-nahen Code formulieren wie Interne E-Mails ohne Grußformel verschicken.
Ein solches Codieren von unten nach oben, also von den konkreten Daten zur ersten leichten Verallgemeinerung, eignet sich gut für explorative Forschung – wenn also eine Fallstudie erste Anhaltspunkte liefern soll für neue Ideen, Konzepte oder Theorien. Beim induktiven Codieren können sich die Codes während des Codierens noch ändern, und vor allem ändert sich das ganze Codebuch. Es entsteht erst während der Analyse.
Deduktives Codieren ist ein Top-Down-Ansatz, bei dem Forschende eine Hypothese empirisch überprüfen. Ausgehend von der Forschungsfrage, wählen sie zuerst einen bestehenden theoretischen Rahmen und leiten daraus Hypothesen ab. Danach entwickeln sie das Codebuch. Erst jetzt erheben sie die Daten und codieren sie entlang der Vorgaben im Codebuch. Sie legen die Daten also sozusagen in die vorgefertigten Schubladen. Das Codebuch und die Codes verändern sich dann nicht mehr.
Im Beispiel von oben bekäme der Satz Unter E-Mails im Betrieb setze ich keine Grußformel mehr etwa den bereits vorgefertigten Code Ohne Grußformel zugewiesen. Solch induktives Codieren eignet sich, wenn man schon viel weiß über den Gegenstand und herausfinden will, ob und wie die bestehende Theorie die neuen Daten erklärt.
Im Beispiel von den Mails könnte es sein, dass eine Theorie mittlerer Reichweite besagt, dass E-Mails in Organisationen immer öfter ohne Anrede und Gruß verschickt werden, vor allem zwischen Mitarbeitenden, die sich täglich mehrere Mails schicken. Dann umfasst ein einfaches, deduktiv hergeleitetes Codebuch die Codes Intern und Extern und weiter Mit Anrede und Mit Grußformel sowie Ohne Anrede und Ohne Grußformel.
Aufgabe 3 | Grounded Theory: Ein Schritt ins Unbekannte [10']
Wann ist eine Auswertung mit der Grounded Theory die richtige Wahl? Überlegen Sie weiter, wieso Forschende, die Grounded Theory anwenden, nicht nach Prozentwerten streben.
Die Grounded Theory ist eine passende Wahl, wenn man ein Phänomen, über das man noch wenig weiß, explorativ untersuchen und aus dem Datenmaterial eine Theorie erzeugen oder eine bestehende Theorie erweitern möchte.
Wer mit Grounded Theory forscht, will Zusammenhänge möglichst tief und umfassend verstehen – und opfert dafür Breite. Eine Grounded Theory zeigt idealerweise zum Beispiel, welche Wege Menschen finden können, in ihrem Beruf glücklich zu werden. Als Ergebnis kann sie gute Praktiken der Lebens- und Laufbahngestaltung aufdecken – aber nicht Prozentzahlen nennen, wie viele Menschen weshalb angeben, glücklich zu sein im Beruf.