Back Stage – Blick hinter die Kulissen
Hinter dem, was ist: Sprache, Welt und Wahrnehmung | Daniel Perrin
Thema c Illokution und Perlokution: Was wir mit Sprache tun und wie wir damit die Welt verändern
Aufgabe 1 | Anschlusshandlung: Hallo und Tschüss als Sprechaktpaar [10']
Ein Gruß ist ein Sprechakt; ein Gegengruß auch. Man tut etwas, indem man Sprache nutzt: Man nimmt Kontakt auf zum Gegenüber. Gruß und Gegengruß bilden also ein Paar, sie kommen meist gemeinsam vor. Dieses paarweise Auftreten findet sich in unserer Kommunikation bei vielen Sprechakten. Dazu die Übung:
- So, wie jeder Gruß nach einem Gegengruß ruft, ist auch ein Dank nur der erste Teil eines Sprechaktpaares. Welche Möglichkeiten kennen Sie, einen Dank zu erwidern?
- Wovon hängt ab, welche dieser Möglichkeiten Sie tatsächlich nutzen, wenn Sie einen Dank erwidern?
- Ein Niesen zieht je nach Kultur, in der Sie sich gerade bewegen, andere Sprechakte nach sich. Nennen Sie je ein übliches Muster für den deutschen und den englischen Sprachraum.
- Übliche Praktiken der Erwiderung eines Dankes verdeutlichen die Freude am Schenken, ausgedrückt etwa als Danke! – Gern geschehen! Es gibt aber auch Praktiken, mit welchen die eigene Leistung herabgestuft wird: Milles mercis! – De rien! Oder wie meine Großmutter den Dank für ihre Geschenke zu erwidern pflegte: „S isch numen es Nüüteli“, also es ist nur ein Nichts.
- Starken Einfluss auf die gewählten Praktiken und sprachlichen Mittel kann haben, wie formell eine Situation erlebt wird. Der Chefin, die man noch kaum kennt, dankt man anders als dem Lebenspartner.
- Im deutschen Sprachraum wünschen die anderen der Person, die geniest hat, Gesundheit; im englischen Sprachraum verbreitet ist die gegenteilige Praxis, nämlich dass sich die Person, die geniest hat, danach bei den Anwesenden entschuldigt.
Aufgabe 2 | Beziehung: Am Anfang war das Wort [10']
Es gibt viele Möglichkeiten, mit Sprache Kontakt aufzunehmen und in Beziehung zu anderen zu treten. Welche davon kennen Sie? Und welche nutzen Sie – in welcher Situation? Dazu die Übung Am Anfang war das Wort:
- Treffen Sie beim Wandern oder Spazieren in der weiten Natur auf eine fremde Person, verhalten Sie sich kommunikativ anders als im Menschenmeer der Stadt. Wie nämlich?
- Wie machen Sie sich bemerkbar, wenn Sie bezahlen möchten im Restaurant? Kennen Sie aus unterschiedlichen Kulturen unterschiedliche Muster?
- Im Fitness möchten Sie in Kontakt treten zu einer Person, die Sie interessiert. Wie gehen Sie vor, was sagen Sie, und warum wählen Sie diesen Weg?
- Was könnte aus Ihrer Sicht der Grund sein dafür, dass wir von einem ansprechenden Thema oder einer ansprechenden Person sprechen, obwohl hier gar nicht wirklich geredet wird?
- In einsamer Natur pflegen viele Menschen auch Fremde zu grüßen, während eine solche Praktik in einer dicht bevölkerten Umgebung zum Dauergrüßen führen müsste.
- Übliche Praktiken reichen vom dezenten Zeigen des Zahlungsmittels, etwa einer Kreditkarte oder Brieftasche, bis zum Ruf durch den Raum, man wolle zahlen.
- Bewährt haben sich in solchen Situationen fachliche Bemerkungen, die auch als kompetente Komplimente deutbar sind, etwa Wow, deinen Lat-Zug sollten sich alle hier abschauen.
- Die Metapher, griechisch meta-pher für übertragen, verdeutlicht, wie sehr das Angesprochen-Werden unsere Aufmerksamkeit weckt und Beziehung ermöglicht.
Aufgabe 3 | Illokution und Perlokution: Passende Parolen [20']
Von I have a dream bis Friday for future: Blicken Sie in der Übung Wortwirkung hinter Parolen, die die Welt verändert haben.
- «I have a dream» – recherchieren Sie kurz im Internet, wie Martin Luther King zu diesem Mantra seiner Rede kam und was er damit bewirkte.
- Parolen wie Yes we can oder Friday for future gehen um die Welt. Wofür stehen sie – und welche formalen Merkmale machen sie so eingängig?
- Als das Regierungsoberhaupt eines kleinen Landes die USA besuchte, als deren Präsident damals Donald Trump galt, schrieb es ins Gästebuch des Weißen Hauses:
«Thank you for your invitation to the Withe House. Together ahead!»
Was macht diesen Sprechakt so komisch?
- Einen leichten Einstieg ins Thema bietet dieser Artikel:
https://www.srf.ch/kultur/im-fokus/der-archivar/i-have-a-dream-die-rede-die-ganz-anders-geplant-war - Beide Parolen stehen für den Willen, gemeinsam etwas zu verändern. Formal sind beide kurz und bündig; Yes we can besteht aus nur drei Silben, Friday for Future aus 2+1+2 Silben mit Stabreim. Und beide Parolen bestehen aus gewöhnlichen Wörtern, sagen dabei aber ungewöhnliche Dinge (nach Arthur Schopenhauer, 1851).
- Die Komik ergibt sich für viele kritische Zeitgenoss*innen zum einen aus dem völligen Hinwegsetzen über den Größenunterschied zwischen den beiden beteiligten Ländern in together ahead, zum anderen durch den Rechtschreibfehler in Withe House, der dieses ahead in Frage zu stellen scheint, weil man annehmen würde, ein Staatsmann wisse sich auch auf einen solch komplexen Auftritt vorzubereiten.
Aufgabe 4 | Illokution und Perlokution ”Zauberlehrling” [20']
In der Ballade Der Zauberlehrling lässt Johann Wolfgang von Goethe einen Anfänger an der Magie der Sprache scheitern. Überlegen Sie, wann Sie das letzte Mal als Zauberlehrling unterwegs waren:
- Lesen Sie die Ballade Der Zauberlehrling von Johann Wolfgang von Goethe, zum Beispiel hier:
https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Zauberlehrling - Welche Rolle spielt die Sprache in der Ballade? Und welche Rolle spielt sie, wenn Sie jemanden mit Worten verführen oder etwas heraufbeschwören?
- Stellen Sie sich eine Szene vor, in die der Satz Ich wünschte, ich hätte es nie gesagt passt. Wie wäre die Geschichte verlaufen, wenn «es» tatsächlich nie gesagt worden wäre?
- Und umgekehrt: Wann haben Sie zum letzten Mal gelogen? Warum dies? Was hätte in dieser Situation die reine Wahrheit anrichten können?
- Mit Sprache wird gezaubert, es werden Taten angestrebt und schließlich geschaffen – die Perlokution entspricht der Illokution. Dies allerdings nur unvollständig und kurzfristig, wenn die Worte fehlen, wieder zu stoppen, wenn es einem zu viel wird.
- Bei jeder hier denkbaren Geschichte haben Wörter Wirklichkeit verändert – und zwar so, wie es nicht der Illokution entsprach. Hätte man geschwiegen statt geredet, so vermutet man dann, hätte die kleine Welt einen anderen Lauf genommen.
- Lügen kann einen – sicher kurzfristig – vor Sprachwirkungen bewahren, die man vermeiden will. Die Wahrheit dagegen, vermutet man in solchen Situationen, würde genau diese Wirkungen auslösen oder begünstigen.
Aufgabe 5 | Illokution und Perlokution: Fall Pajero & Co. [10'] [10']
Die Perlokution einer Sprachhandlung kann beträchtlich von der Illokution abweichen. Zeigen Sie am Beispiel unglücklich gewählter Produktenamen, woran das liegen mag. Die Übung dazu heißt Pajero&co.:
- «Das sind die peinlichsten Autonamen» – Lesen Sie diesen Artikel und überlegen Sie, wie eine Organisation vorgehen kann, um solche sprachlichen Totalschäden zu vermeiden.
https://www.t-online.de/auto/recht-und-verkehr/id_83122714/-wichser-pimmel-das-sind-die-peinlichsten-autonamen.html
- Produktenamen in einer globalisierten Welt sollten in möglichst vielen Sprachen positive Vorstellung auslösen und in möglichst keiner negative. Es gibt Beratungsunternehmen, die sich darauf ausgerichtet haben, solche Namen zu entwickeln. Sie finden zuerst gute Wortkandidatinnen, also solche, die in Sprachen mit weltweit hohem Prestige so klingen und verstanden werden, dass es zum gewünschten Produktbild passt. Dann überprüfen sie diese Wortkandidaten in möglichst vielen Sprachräumen der geplanten Absatzmärkte auf unerwünschte Denotationen und Konnotationen, also Haupt- und Nebenbedeutungen.