Performance – und Non-Performance
Digital Divide? – Sprache und Partizipation | Susanne Loacker
Thema h Die Sprache des Journalismus
Aufgabe 1 | Öffentlicher Diskurs: Meidet Journalismus die Normalität? [15']
Die Funktion des Journalismus besteht darin, den öffentlichen Diskurs zu organisieren, zu moderieren und sicherzustellen, dass alle, die das möchten oder müssen, am Diskurs teilhaben, also mitdenken und mitreden können.
Stellen Sie sich vor, ein 70-jähriger Milliardär aus Südafrika verschafft sich während des Corona-Lockdowns mit behördlichem Segen Zugang zum Impfstoff der Spitalgruppe Hirslanden, während das Gesundheitspersonal auf die Impfung warten muss. Für den Journalismus ist ein solcher Fall ein gefundenes Fressen. Er reagiert nämlich primär auf das, was irritiert, was vom Gewohnten und Normalen abweicht. Lesen Sie dazu diesen Artikel https://impact.zhaw.ch/de/artikel/warum-journalismus-normalitaet-meidet-wie-der-teufel-das-weihwasser und wenden Sie sich dann folgenden Fragen bzw. Aufgaben zu:
- Schildern Sie in wenigen Sätzen, was daran normal ist, dass der Journalismus Normalität fürchtet wie der Teufel das Weihwasser.
- Versuchen Sie in wenigen Sätzen zu erklären, warum der Journalismus trotzdem letztlich die Sehnsucht nach dem Normalen zu stillen versucht.
- Nennen Sie einige aktuelle Beispiele für journalistische Geschichten, in denen das Abweichen vom Normalen der Auslöser für eine Geschichte war.
- Je eine Gruppe von Versuchspersonen aus Deutschland, Japan und den USA sehen sich eine Filmszene an, in der sich Tarzan an einer Liane von Ast zu Ast schwingt.
Danach werden die Versuchspersonen einzeln befragt, was sie gesehen haben. Während sie stehend und gestikulierend ihre Erinnerungen schildern, wird aufgezeichnet, was sie sagen und welche Gesten sie dabei benutzen.
Aufgabe 2 | Kommunikationsmedien: Macht, Geld, Wahrheit … [15’]
In der systemtheoretisch ausgerichteten Journalismustheorie wird der Journalismus als ein autonomes Teilsystem der Gesellschaft aufgefasst. Das Funktionssystem «Journalismus» löst demnach exklusiv ein Problem, das andere Teilsysteme wie etwa Politik, Wirtschaft oder Wissenschaft nicht zu lösen vermögen. Bei der Problemlösung setzt jedes gesellschaftliche Teilsystem ein eigenes symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium wie etwa Macht, Geld oder Wahrheit ein. Kommunikationsmedien machen unwahrscheinliche Kommunikation wahrscheinlicher.
- Schauen Sie sich dazu dieses Video an https://www.youtube.com/watch?v=H8sDsTGoAq4, in dem der Soziologe Dirk Baecker den Begriff «Kommunikationsmedien» erklärt.
- Vervollständigen Sie dann die untenstehende Tabelle, indem Sie die aufgeführten Kommunikationsmedien den jeweils zutreffenden Funktionssystemen zuordnen.
- Machen Sie schließlich einen Vorschlag dafür, wie man das Kommunikationsmedium des Teilsystems Journalismus nennen könnte und was Journalist:innen dazu motiviert, an journalistischen Texten zu arbeiten.
Kommunikationsmedien:
- Macht
- Geld
- Wahrheit
- Moral
- Glaube
- Ästhetik
Funktionssystem | Symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium | Motivation des Handelns |
Politik | Ermöglicht es z.B., dass ein:e Verkehrssünder:in eine Geldbuße entrichten muss, bzw. dass der Staat sie erhält. | |
Wirtschaft | Ermöglicht mir z.B., beim Bäcker unkompliziert ein Brot zu kaufen. | |
Wissenschaft | Motiviert eine:n Wissenschaftler:in dazu, in der Freizeit an einer wissenschaftlichen Publikation zu arbeiten. | |
Ethik | Ermöglicht es, sich über gemeinsame Wertvorstellungen und -Urteile zu verständigen | |
Religion | Ermöglicht die Transformation einer unbestimmbaren Komplexität in eine bestimmbare Komplexität | |
Kunst | Bewegt Menschen dazu, sich einem Kunstwerk zuzuwenden. |
Aufgabe 3 | Perspektiven organisieren: Fall Kreisel [15']
Im gesellschaftlichen Zusammenleben ist es häufig so, dass unterschiedliche Deutungen und Argumente, die der einen Systemlogik folgen, die Logiken von anderen Gesellschaftssystemen irritieren. Das hat das Beispiel vom Bau des Kreisels gut veranschaulicht. Genau dann kommt der Journalismus ins Spiel. Er reagiert angesichts der Irritation auf öffentlichen Diskursbedarf. Seine Funktion besteht nun darin, den öffentlichen Diskurs zu organisieren und zu moderieren. Gerade dann, wenn sich gegenseitig irritierende Deutungen aus verschiedenen Gesellschaftssystemen aufeinanderprallen.
Schauen Sie sich dazu dieses Video an, in dem das Beispiel vom Kreiselbau ausgeführt wird.
- Vervollständigen Sie dann die untenstehende Tabelle, indem Sie die aufgeführten Argumente den jeweils zutreffenden Funktionssystemen und Kommunikationsmedien zuordnen.
- Nennen Sie weitere Argumente, die noch anderen Systemperspektiven folgen und die vom Journalismus in seinen Texten zu dem Kreiselbau aufgenommen werden könnten.
- Nennen Sie schließlich weitere aktuelle Beispiele für journalistische Geschichten, in denen der Journalismus Deutungen und Argumente aufgegriffen hat, die jeweils einer eigenen Systemlogik zuzuordnen sind.
Argumente:
- Ein Kreisel ist viel zu teuer!
- Ein Kreisel ist sicherer als eine Kreuzung!
- Ein Kreisel braucht eine schöne Skulptur!
- Es ist unmoralisch, die unsicher Kreuzung so stehen zu lassen!
Funktionssystem | Symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium | Argumente im öffentlichen Diskurs |
Wirtschaft | Geld | |
Wissenschaft | Wahrheit | |
Ethik | Moral | |
Kunst
|
Ästhetik
|
- Nennen Sie weitere Argumente, die noch anderen Systemperspektiven folgen und die vom Journalismus in seinen Texten zu dem Kreiselbau aufgenommen werden könnten.
--> Politik: Ein Kreisel ist an der Urne nichts mehrheitsfähig.
--> Bildung: Die Schüler haben zu wenig Erfahrung, um mit Fahrrädern sicher auf dem Kreisel zu fahren.
- Nennen Sie schließlich weitere aktuelle Beispiele für journalistische Geschichten, in denen der Journalismus Deutungen und Argumente aufgegriffen hat, die jeweils einer eigenen Systemlogik zuzuordnen sind.
--> Coronaberichterstattung: die wissenschaftlichen Argumente der Virologen und die religiösen einiger Religionsvertreter:innen
--> Ukrainekrieg: Die moralischen Argumente der Anhänger von Waffenlieferungen an die Ukraine und die wirtschaftlichen Argumente der Gegner im Hinblick auf eine mögliche Dauer des Krieges.
Aufgabe 4 | Narration: Warum Journalismus Geschichten erzählt [15’]
Im Journalismus ist Narration ein zentraler journalistischer Kommunikationsmodus. Es handelt sich dabei um eine Form von Sinnvermittlung im Akt des Erzählens. Das Narrative ermöglicht einen stärker affektiven Zugang zu Themen, weckt Neugier, baut Spannungen auf, lässt Befürchtungen wachsen, und lädt zur Identifikation ein. Der narrative Kommunikationsmodus wird auch vom Journalismus zur Reduktion von Komplexität angewandt. Es sind die journalistischen Geschichten, seine Stories, die es schaffen, konfliktive Deutungen und unvereinbare Argumente zu verbinden und dazwischen zu vermitteln. Gerade Krisen passen hervorragend zur Logik des Journalismus, weil sie unvorhersehbar sind, als Irritation des Gewohnten eine hohe Relevanz haben und oft eine persönliche Zurechenbarkeit konstruieren (Rollen).
Versuchen Sie nun abschließend das Konzept der Narration auf die Beispiele der medialen Inszenierung einerseits der Corona-Krise und andererseits der Ukraine-Krise anzuwenden, indem Sie für beide Fallbeispiele folgende Fragen grob beantworten:
- Welche Systemperspektiven (Themen, Aspekte) werden in der medialen Berichterstattung zu diesen beiden Fällen aufgegriffen bzw. thematisiert?
- Auf welche Narrative oder Erzählmuster greifen Journalistinnen und Journalisten zurück, wenn sie die Komplexität dieser unüberschaubaren und lang andauernden Ereignisse in journalistischen Geschichten zu reduzieren versuchen?
- Gibt es weitere Großereignisse oder Themen, bei denen Sie in der medialen Inszenierung narrative Strukturen bzw. typische Erzählmuster oder Rollen erkennen können?
- Welche Systemperspektiven (Themen, Aspekte) werden in der medialen Berichterstattung zu diesen beiden Fällen aufgegriffen bzw. thematisiert?
--> Corona-Krise: medizinische Aspekte vs. wirtschaftliche
--> Ukranie-Krieg: moralische Argumente vs. Wirtschaftliche hinsichtlich der Dauer des Kriegens
- Auf welche Narrative oder Erzählmuster greifen Journalistinnen und Journalisten zurück, wenn sie die Komplexität dieser unüberschaubaren und lang andauernden Ereignisse in journalistischen Geschichten zu reduzieren versuchen?
--> Corona-Krise: z.B. Kassandra vs. Blender aus einer fremden Welt.
--> Ukraine-Krise: z.B. David gegen Goliath