Die Praxis in Sprachberufen untersuchen
Mit Bedacht verallgemeinern: Fallstudien auswerten | Prof. Dr. Daniel Perrin
Thema c Interpretation: Begründet vermuten, was das Festgestellte bedeutet
Aufgabe 1 | Interpretation: Am Beispiel des Kulturschocks [30']
Im Fall Biomed haben Sie gelernt: Forschende müssen nachvollziehbar erklären können, wie sie vom Ergebnis einer Analyse zu ihrer Interpretation dieser Ergebnisse gelangen – etwa warum sie aus der Feststellung, dass Leitungspersonen von Biomed immer wieder von Kostenbewusstsein sprechen, den Schluss ziehen, die Kommunikationsabteilung von Biomed handle kostenbewusst. Es könnte ja auch sein, dass die Leute das nur sagen und vielleicht auch zu tun glauben, es aber nicht wirklich tun.
Lesen Sie nun die kurze Beschreibung einer Fallstudie, verfasst von Master-Studierenden in Interkultureller Kommunikation:
https://www.mic.usi.ch/culture-shock-professional-environment-cs-en
Wo hört die Analyse auf und wo beginnt die Interpretation in dieser kurzen Beschreibung eines Kulturschocks?
Der Beitrag ist aufgeteilt in einen ersten Teil, der den Fall beschreibt, und einen zweiten Teil, überschrieben mit „Persönliche Interpretation“. Schon im ersten Teil fließt aber Deutung ein, und es ist nicht immer nachvollziehbar, wie die Autor*innen zu dieser Interpretation gekommen sind, etwa weil Hinweise auf Daten und Analysewege fehlen.
Hier ein Beispiel: “But at the same time, it was challenging for him to assimilate his sudden change of office, he was not willing to adapt to the other colleagues’ way of working, and wanted to keep the same rules and conditions defined in the organization and management of his former office.” In der Beschreibung wird nicht festgehalten, wieso die genannte Person sich nicht anpassen wollte und wie sich das in den Daten gezeigt hat. Generell ist die Beschreibung des Falles sehr knapp. Es fehlen Details, die eine Beschreibung und Analyse des Falles reichhaltig und aussagekräftig machen.
Aufgabe 2 | Hypothesen: Was zeichnet sie aus? [10']
Sie finden hier fünf Behauptungen zu Hypothesen in der Fallstudienforschung. Welche davon treffen zu, welche nicht, und warum?
- Eine Hypothese ist eine Feststellung, die für bestimmte Zwecke als falsch angenommen wird, bis sie erhärtet oder widerlegt wird.
- Die Fallstudienforschung beginnt mit einer Hypothese.
- Oft werden Hypothesen am Ende einer Fallstudie generiert.
- Hypothesen sind überprüfbare Aussagen, sie werden so formuliert, dass sie im weiteren Forschungsprozess mit gesammelten Daten getestet werden können.
- Eine Hypothese umfasst in der Regel mindestens drei Variablen und deren Beziehung zueinander.
- Nein, eine Hypothese ist eine Vermutung, die für bestimmte Zwecke als zutreffend angenommen wird, bis sie erhärtet oder widerlegt wird.
- Nein, sie beginnt beim Festlegen der Forschungsfrage.
- Ja – gerade wenn in der Fallstudienforschung sehr explorativ vorgegangen wird, steht am Anfang keine Hypothese. Dies ist zum Beispiel ein wichtiger Unterschied zur experimentellen Forschung, die in den allermeisten Fällen von Hypothesen ausgeht und diese überprüft.
- Ja, das ist der Sinn von Hypothesen: Sie sollen überprüfbar sein und überprüft werden.
- Nein. Eine Hypothese umfasst in der Regel zwei Variablen und deren Beziehung zueinander. Wichtig ist, wie eine Variable auf die andere wirkt. Eine Hypothese drückt eine Beziehung aus Ursache und Effekt aus.
Aufgabe 3 | Praxisgeleitete Fallstudien: Zurück zu der Fallwahl [10']
Der Forschungsbetrieb unterscheidet zwischen praxisgeleiteten und theoriegeleiteten Fallstudien. Überlegen Sie, in welchen Bereichen der Angewandten Linguistik sich praxisgeleitete Fallstudien anbieten würden.